Geistiges Immunsystem stärken

Als der liebe Gott das erste Menschenpaar erschaffen hatte, hat Er sie nicht in einen sogenannten geistig-sterilen Raum gesteckt, wo sie nämlich keinesfalls mit irgendeiner Bosheit oder dem Unrecht in Berührung kämen. Natürlich gab es für sie damals im Paradies nicht die geringste Bosheit oder Ungerechtigkeit, das ist eindeutig. Aber dennoch hat sie Gott von sich aus voll absichtlich einer Prüfung unterzogen, bei welcher ja sehr wohl auch die Möglichkeit ihres Versagens bestand. Wie wir im Buch Genesis 2,1-7 lesen können, haben dann Adam und Eva ja auch tatsächlich versagt, indem sie nämlich Gott nicht den Gehorsam erwiesen haben, der von ihnen erwartet worden ist.
Aber es war ein eindeutiger Test. Man muss sich allen Ernstes vor Augen führen, dass Gott sie absichtlich herausgefordert hat. Er hat nicht etwa gesagt, sie sollten einfach so die Güter des Paradieses genießen, sondern stellte sie auf die harte Probe, ob sie sich dieses Gnadengeschenks Gottes auch entsprechend würdig erweisen würden. Ihre Dankbarkeit dafür sollten sie eben gerade durch eine vollbewusste positive Entscheidung dazu zum Ausdruck bringen!
Ja, wir wissen auch, dass dieser Test äußerst negativ ausgefallen ist und was dann die Folgen des betreffenden sittlichen Versagens Adams und Evas waren und sind. Aber Gott wäre nicht Gott, wenn Er nicht zugleich auch den künftigen Erlöser verheißen hätte. In der Schlange, die die betreffende Versuchung an unser erstes Elternpaar herangetragen hatte, hat Gott dann den Teufel verflucht (ihn sozusagen amtlich-feierlich als die böse Macht identifiziert und deklariert!) und bezeichnenderweise gesagt: „Feindschaft will Ich setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Spross und ihrem Spross. Der wird dir den Kopf zertreten; du aber wirst Ihn an der Ferse verletzen.“ (Gen 3,15.) Hierin sieht die katholische Kirche die Ankündigung des göttlichen Erlösers und Sein schmerzhaftes Leiden zum Zweck der Korrektur des Versagens von Adam und Eva und unserer Rettung!
Analoge Zusammenhänge sehen wir auch im Zusammenhang mit unserer körperlichen Gesundheit. Wenn ein kleines Kind heranwächst, kommt es früher oder später verstärkt speziell auch mit anderen Kindern zusammen, ob in der Kita, im Kindergarten oder in der Schule. Das Kind kommt also gewissermaßen aus der bisherigen häuslich-familiären Isolation heraus, so dass sein Körper auch mit einer Menge von anderen und bis dahin nicht bekannten Viren und Bakterien konfrontiert wird.
Es ist ebenfalls bekannt, dass diese Kinder dann zu Beginn etwas verstärkt krank werden (Husten, Fieber, laufende Nase), weil das betreffende Immunsystem des Organismus sich noch nicht darauf einstellen konnte. Dieses wird aber durch das Erleiden dieser Krankheiten (Erkältungen, Grippe) herausgefordert und entwickelt im Lauf der Bekämpfung der neuen Infekte normalerweise die entsprechenden Antikörper. Auf diese Weise wird das Immunsystem des Kindes langsam aber stetig gestärkt, so dass es dann mit der Zeit schneller auf die betreffenden Viren reagieren sowie schneller und leichter sie bekämpfen kann. Der Organismus wird stärker und gesünder und so besser für das Leben vorbereitet.
Wollte aber z.B. eine Mutter ihre Kinder vor allen Viren und Bakterien bewahren und isolieren, würden diese jungen Menschen ein schwächeres Immunsystem behalten und so dann später häufiger krank werden. Somit ist es nicht nur gut, sondern sogar erforderlich, dass unser aller Immunsystem im vernünftigen Umfang herausgefordert und provoziert werde. Denn nur so kommt es in Gänge und kann Gegenwehr leisten, damit wir später nicht von jedem vielleicht noch so schwachen Virus umgehauen werden und jedes Jahr bis zu fünf-sieben Mal für längere Zeit das Bett mit hohem Fieber hüten müssen. Nur so wird man auf diesem Gebiet dem erwachsenen Leben in der menschlichen Gesellschaft gewachsen sein.
Das ist ein schönes Bild für die geistige Realität unseres Lebens. Vieles spricht dafür, dass Gott uns da ebenfalls in gewisser Hinsicht herausfordern lässt und für uns somit Konfliktsituationen zulässt, aber eben nicht, damit wir nur versagen und schlussendlich verzweifeln. Nein, Er will offensichtlich, dass wir auch geistig kämpfen und ringen und alle Widerstände und Widerwärtigkeiten überwinden und so im Hinblick auf unsere geistige Widerstandskraft und Wehrhaftigkeit wachsen!
Und mit jedem Sieg auf diesem Gebiet nimmt dann auch das Verständnis und die Wertschätzung des Wertes der Liebe zu Gott als dem höchsten Gut zu, weil ja jede sittliche Entscheidung für Ihn (bei gleichzeitiger Abwehr der Versuchung) uns Ihm geistig nur näher bringt und Seinen Frieden und Segen jeweils noch intensiver erfahren lässt. Bewährt sich ja die Liebe bekanntlich bei Überwindung von Widerständen am stärksten.
Vor vielen Jahren habe ich einmal ein Buch mit geistlichen Anweisungen der Mönche des christlichen Altertums gelesen, die in den Wüstenklöstern in Ägypten gelebt hatten. Einer dieser Mönche formulierte einen sehr weisen Satz, der aber im ersten Augenblick auch etwas schockieren kann: Man nehme die Versuchung aus dem Leben der Menschen weg und keiner wird mehr heilig werden können!
Heilig ist man nicht dann, wenn man etwa nie mit Versuchung in Berührung gekommen ist und somit keiner sittlichen Prüfung unterworfen war. Heilig wird man, indem man die betreffenden sittlichen Hindernisse überwindet und sie im Maße des Möglichen in positive Hingabe an Gott und das Vertrauen in Seine Vorsehung umwandelt. Geistiges Wachstum entsteht ja ebenfalls am stärksten, wenn man kämpft und ringt und somit trotz Widerstände im Guten verharrt!
Auch in einer jeden menschlichen Beziehung treten ja früher oder später Meinungsverschiedenheiten und Differenzen auf. Diese sollte man dann nicht von der Seite angehen, dass man sagt, jetzt werde alles in Brüche und man selbst auseinander gehen. Nein, man besinne sich auf die positiven Werte, die einander einen, und bemühe sich, mal etwas weniger seine eigenen Interessen in den Vordergrund zu schieben und etwas mehr die Bedürfnisse des anderen zu berücksichtigen, mal bewusster aufeinander zuzugehen und so das gemeinsame Wohl zu sehen.
Wer dann so zueinander hält und miteinander durch Dick und Dünn geht, der vertieft, verinnerlicht und verstärkt die gemeinsame Beziehung und Bindung – das betreffende kollektive Immunsystem nimmt nur noch weiter zu! Solche Paare, Familien und Gemeinschaften, die sich auf das Wesentliche besinnend und darin zusammenhaltend schwere Prüfungen durchgemacht haben und sich dabei durch keinen widrigen Umstand oder eine weniger wichtige Meinungsverschiedenheit auseinanderdividieren ließen, nehmen nur noch weiter an geistiger Widerstandskraft zu und dürfen sich als Folge eines höheren Maßes an geistigem Lebensreichtum erfreuen!
Ja, der liebe Gott lässt in unserem Leben manches zu, was wir (jedenfalls zu Beginn) nicht verstehen können und Ihn dann bisweilen auch vorwurfsvoll fragen, warum Er denn diese Prüfung oder dieses Kreuz für uns nicht verhindert habe. Denn wäre es nicht so gekommen, wie es gekommen ist, würde es ja wohl auch nicht die betreffenden daraus resultierenden großen Schäden geben (bei Einzelpersonen, in Familien, Gesellschaft und Kirche), mit denen man sich dann entweder selbst herumplagen oder/und bei anderen beklagen muss.
„‘Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege‘, - Spruch des Herrn. – ‚Nein, so hoch der Himmel über die Erde, so hoch sind meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über euren Gedanken.‘“ (Is 55,8f.)
Haben doch wohl die meisten Erwachsenen schon die Erfahrung gemacht, dass eine bittere Niederlage oder ein erlittenes Missgeschick oder eine sonstige Enttäuschung sie eine höchst schmerzhafte Hilflosigkeit haben erfahren lassen. Diese traurige Realität, welche subjektiv nicht selten wie ein erzwungenes Heruntersteigen vom hohen Ross empfunden wird, veranlasst dann doch einen Menschen mit Ehre und Anstand zum verstärkten Nachdenken über und zur Besinnung auf fundamentale Werte.
Also kann uns allein schon die auf diese Weise erfolgte bzw. erzwungene Rückbesinnung dazu dienen, dass wir unsere entsprechenden Lehren daraus ziehen und so auch für die Zukunft besser gewappnet sind. Vielleicht bewahrt uns dies dann vor einem größeren Fehler oder Problem, weil wir ja durch vorherige Niederlagen angeleitet worden sind, entsprechend vorsichtiger und umsichtiger zu handeln. Aus der bisherigen Enttäuschung entsteht sogar auch eine tiefe Dankbarkeit, dass Gott für einen zuvor den sprichwörtlichen Schuss vor den Bug zugelassen hat!
Darüber hinaus machen wir ja auch die Erfahrung, dass man bisweilen erst Jahre oder sogar Jahrzehnte später versteht, wie sich dieses Kreuz, jene Krankheit oder welche Zurücksetzung auch immer eigentlich zum eigenen Vorteil und Besten erwiesen hat. Zwar war man damals etwas niedergeschlagen oder hat sogar auch geklagt über das schwere Schicksal und die Zulassungen des Herrn. Aber im Nachhinein erkannte man, wie die betreffenden Niederlagen oder Demütigungen einen zur intensiven Besinnung aufs Wichtige und dem daraus resultierenden geistigen Wachstum veranlasst hatte. Dies gereichte seinerseits zur Stärkung des eigenen geistigen Immunsystems bzw. diente dazu, dass man bei darauffolgenden größeren und stärkeren Prüfungen nicht versagte, sondern im Gegenteil einen höheren Zuwachs an geistiger Gesundheit erfuhr!
Jeder sammelt ja bei seiner Ausbildung oder im Studium eine ganze Menge an wichtigem Fachwissen an. Man weiß zwar viel theoretisch, aber erst im praktischen Leben, bei der Ausübung des betreffenden Berufes nämlich, kommt der Mensch mit Lebenssituationen in Berührung, die ihn veranlassen, das erworbene Wissen im Licht der konkreten Realität und somit lebensnah anzuwenden. Und da merkt man erst, dass in den klugen Büchern bei weitem nicht jeder Fall berücksichtigt wird, dass erst das kluge und umsichtige Anwenden von richtigen Grundsätzen und Prinzipien auf die konkrete und sich bisweilen immer wieder ändernde Lebenssituation einen zum echten Fachmann und zum Experten auf seinem Gebiet macht! Darin besteht wohl auch der Wert des sittlichen Kampfes, welchen Gott für uns zulässt.
Ja, vieles ist schlimm hier auf Erden und viel Unheil wird von den einen Menschen durch die falsche Nutzung ihrer Willensfreiheit für das körperliche wie geistige Wohlergehen anderer Menschen verursacht. Man versteht sicher vieles nicht wirklich, warum vor allem großes Elend und schreckliche Ungerechtigkeiten zugelassen werden.
Schauen wir dabei aber auch auf Christus und sagen Ihm voll Gottvertrauen: O Heiland, Du lässt für mich und andere dieses Unrecht oder jenes Kreuz offenkundig zu. Sicher willst Du nicht, dass ich diesbezüglich verzage und verzweifele. Gib mir also bitte die Gnade, dass ich diese Prüfungen u.a. auch bewusst als eine mir von Dir gewährte Chance ansehe, mich vor Dir zu bewähren und so weiter zu wachsen, um Dir meine echte Treue und aufrichtige Liebe unter Beweis stellen zu können. Vielleicht forderst Du mich dadurch auch deshalb heraus, damit ich unter aufrichtigster Besinnung auf Dich und in tiefster Demut vor Dir ein gewisses höheres Maß an Christusverbundenheit und Heiligkeit erlange.
Bezeichnenderweise heißt es im Evangelium von Jesus: „Sogleich nötigte Er die Jünger, in das Boot zu steigen und Ihm an das andere Ufer vorauszufahren.“ Jesus wusste ja, dass das Boot der Jünger auf dem Wasser „von den Wogen hart bedrängt“ würde und sie es mit starkem „Gegenwind“ zu tun bekämen. Sie schrien dann sogar „vor Schrecken“ und „vor Angst“. „Doch Jesus redete sie sogleich an mit den Worten: ‚Seid getrost! Ich bin es. Fürchtet euch nicht!‘“
Seinen Blick fest auf Jesus richtend brachte es der hl. Apostel Petrus dann sogar fertig, über dem unruhigen Wasser des Sees Genezareth auf Jesus zuzugehen. Und erst als er den Blick von Ihm abwandte und „den starken Wind gewahrte, geriet er in Furcht“. Infolgedessen „begann er zu sinken und schrie: ‚Herr, rette mich!‘ Sogleich streckte Jesus die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: ‚Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?‘ Dann stieg Er ins Boot und der Wind legte sich.“ (vgl. Mt 14,24-33.)
Es war also ein ausdrücklicher Wunsch von Jesus, Seine Jünger der betreffenden Prüfung auszusetzen. Sie sollten offenkundig auf der einen Seite ihre große innere Schwäche und ihr geistiges Unvermögen erleben, sofern sie nämlich ihre innere Ausrichtung auf Ihn außer Acht ließen und sich stattdessen zu sehr von den äußeren Bedrohungen in Beschlag nehmen ließen. Auf der anderen Seite wurde ihnen auch das Gnadengeschenk bereitet, sowohl die Wirkkraft des Gebetes, der inständig bittenden Zuwendung der Seele zu Christus, zu erfahren als auch den tiefen Frieden und die bereichernde Freude des Herzens zu verspüren, die einer Seele geschenkt werden, wenn sie sich Ihm voll Vertrauen und Liebe zuwendet und dann auch alle Prüfungen aus Seiner Hand als Möglichkeit zum inneren Wachstum und der Zunahme an Liebe zu Gott und zum Nächsten dankend annimmt!
Wir wissen nicht, ob Petrus und die anderen Apostel so große Heiligen geworden wären, wenn sie nicht diese Erfahrung gemacht hätten. Wir wissen aber sehr wohl, wie sehr sie u.a. auch dank dieser Prüfung dazugelernt und ihr entsprechendes Immunsystem gestärkt haben. Jedenfalls ist menschlich nicht wirklich zu verstehen und zu erklären, wie dann nach Jesus, eines Handwerkers Sohn, Seine engste Anhängerschaft, die anfänglich überwiegend aus einfachen Fischern, Handwerkern und Arbeitern bestand, durch ihre Treue zur Liebe Christi und auch ihr Bekenntnis in Wort und Tat bzw. auch durch ihr Blutzeugnis das mächtige System des heidnischen Römischen Imperiums zum inneren Aushöhlen und dem folgenden historischen wie geistigen Zusammenbruch gebracht hat.
Offensichtlich braucht es auch in den heutigen schweren Prüfungen des einzelnen Menschen, der Familien, Gesellschaften und der Kirche solche großherzigen Seelen, die sich nicht durch die Bedrohungen verschiedenster Art von ihrer inbrünstigen Liebe zu Jesus Christus und der wahren Kirche abbringen lassen, sondern alle auch bevorstehenden schwersten Prüfungen in Glaube, Hoffnung und Liebe auf sich nehmen und ihr daraus erwachsendes Kreuz auch für den blinden, manipulierten und gottesfernen Teil der Bevölkerung tragen.
Jesus sagte: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Gemüt. Das ist das größte und erste Gebot. Das zweite ist diesem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ (Mt 22,37-40.)
So betrachten wir sowohl alle bisher erfahrenen als auch wohl noch zu erfahrenden Hindernisse, Widerstände, Probleme, Niederlagen, Enttäuschungen gerade im Licht dieses Wortes. Wie die verschiedenen Viren, Bakterien und sonstigen Schädlinge unseren biologischen Körper herausfordern, damit wir (trotz oder gerade dank gelegentlicher schwächerer Erkrankungen) unser Immunsystem stärken und für weitere Herausforderungen gewappnet seien, so lässt Gott offensichtlich zu, dass auch unser geistiges Immunsystem herausgefordert werde, damit es in der Folge auch in seiner positiven Schutzwirkung zunehme und uns daraus ein jeweils höheres Maß an Liebe Gottes ermögliche!

P. Eugen Rissling

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